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Interview Luzerner Woche, Urs Heinz Aerni

Aerni: Soeben erschien Ihr neuestes Buch »Rocco & Jele«. Es ist eine Geschichte über eine Begegnung, die sich dann über den Umweg einer vorsichtigen Annäherung zu einer leidenschaftlichen Liebe entwickelt. Aber Sie verfolgen die beiden Personen nicht nur auf Reisen, sondern machen aus diesem Buch zwei Geschichten, indem Sie beide Perspektiven aufnehmen? Wie kamen Sie auf diese Idee?

Waldis: Es hat mich gereizt, ein-und dieselbe Situation aus der Sicht von Mann und Frau zu beschreiben, ein-und denselben Moment simultan mit zwei Seelen zu erleben. Ich versuche zu zeigen, dass eine Beziehung nicht auf beiden Seiten gleich rasch oder gleich tief wächst, da gibt es immer Synkopen. Die können sowohl reizvoll wie schmerzlich sein.

Auf die Idee gebracht hat mich nicht ein spezielles Ereignis, sondern die tägliche Erkenntnis, dass gelungene Kommunikation oft Glückssache ist. Schon rein sprachlich: Wenn zwei Menschen dasselbe Wort verwenden, garantiert das nicht, dass auch die beiden Wortinhalte kongruent sind.

Aerni: Nun, jetzt kommt die naheliegende Frage, wie es Ihnen als Frau gelang, auch die Sicht des männlichen Protagonisten aufzeichnen zu können.

Waldis: Ob es mir gelungen ist, weiß ich nicht. Bis jetzt haben Männer, die das Buch gelesen haben, jedenfalls noch nicht aufbegehrt. Es ist ja auch nicht ein besonders außergewöhnliches Unterfangen, als schreibende Frau in einen Mann zu schlüpfen. Eine Frau ist auch ein Mensch! Spaß beiseite: Während Jahrhunderten sind schreibende Männer in Frauen geschlüpft. Wie hätte sonst Fontane seine Effi Briest geschrieben, oder Uwe Johnson seine Gesine Cresspahl in den »Jahrestagen«...

Aerni: Fast gleichzeitig erschien auch noch »Benjamin, mach keine Dummheiten, während ich tot bin« und 2004 der Erzählband »Tu nicht so« (Kein & Aber Verlag). Ihre schreiberische Produktion ist beachtlich. Wie oder wo finden Sie die Muse dazu?

Waldis: Ich bin erst seit dem Jahr 2000 freie Autorin, in den Jahren davor bin ich als Vollzeitredaktorin kaum zum freien Schreiben gekommen. Nun schreibe ich mehr oder weniger regelmäßig an fünf Morgen pro Woche. Ich schreibe langsam und wenig aufs Mal, die Produktion ist also nicht so üppig. Die drei Bücher. die kurz hintereinander einen Verleger gefunden haben, beruhen auf der Arbeit von ein paar Jahren. Die ersten Seiten zu »Rocco und Jele« habe ich schon 1991 geschrieben, dann sind sie lange lange liegen geblieben.

Aerni: Zwischenmenschliche Beziehungen sind der Stoff, aus dem die genannten Bücher sind. Ein Anliegen, das Sie auch als Schriftstellerin besonders zu beschäftigen scheint?

Waldis: Ich mache es mir einfach, ich schreibe von dem, was ich selber erleben, miterleben, beobachten und erfahren kann. Also von dem, was sich hier und jetzt zwischen Mensch und Mensch abspielt. Es ist ein uraltes Stück in Variationen. In Goethes »Wahlverwandtschaften« steht: »All das Neigen von Herzen zu Herzen, ach wie so eigen schaffet das Schmerzen.« Dieses Neigen ist der Stoff, aus dem seit jeher Geschichten wachsen, rührende, bitterböse, dramatische und komische.

Aerni: Sie stammen ja aus Luzern. Was würden Sie einem Gast als erstes von der hiesigen Gegend zeigen?

Waldis: Ich würde ihn an einem Novembermorgen zum Rathausquai an die grüne Reuß führen, es hätte mehr Möwen als Touristen, wir würden zurück zum See und hinüber zur Jesuitenkirche und hinauf zum Pilatus blicken, und die alten Fassaden rundum würden sich in sanftem Morgenlicht zeigen. Schön und ein bisschen düster wäre das alles - wie meine Kindheit damals in dieser Stadt. Und dann wären heiße Marroni fällig.