Manchmal malt sich Jolie aus, wie es wäre, einen Mann zu haben, einen richtigen Dauermann. Ihr Gefühl für Adrian, ihren freundlichen Ex, ist so taub wie ein erfrorener Zeh. Sie hat vergessen, an ihn zu denken. Aber so einen richtigen Dauermann, der schon in der Früh Sätze von sich gibt und sich spätabends noch in ihr Leben mischt, so einen stellt sie sich gerne vor. Sie würde sich mit ihm messen, ihm ein paar Püffe verpassen, wenn er zu wichtig würde, und sie würden einander mit Gescheitheiten zu überbieten versuchen. Sie hätten vielleicht drei Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen, und Jolie hätte sich durchgesetzt, dass sie Raglan, Paspel und Öse hießen, wohlklingende Begriffe aus ihrem ehrenwerten Beruf.
Jolanda, genannt Jolie, werkelt als Schneiderin. Ihr Ex-Mann unterstützt sie großzügig und ihre erwachsene Tochter bereist die Welt. Aber Jolie lebt in keiner Idylle. Sie ist die Einzige in der großen Familie, die sich um die altersdemente Mutter kümmert. Und dann findet sie im Elternhaus auch noch ein rätselhaftes Paket, das auf Franz, ihren Lieblingsbruder, hinweist. Der soll mit siebzehn ertrunken sein, als Jolie gerade zehn Jahre alt war. Doch gewisse Umstände, etwa dass Franz unehelich zur Welt gekommen ist, lassen darauf schließen, dass er einfach abgehauen ist und vielleicht noch lebt.
Um es gleich vorneweg zu sagen: Dieser schmale Roman über eine Schweizer Familie ist so großartig, wie die beschriebene Familie kleinkariert ist. Hier gibt es keinen Helden. Und darin, in der Belanglosigkeit der beschriebenen Normalos, liegt eben nicht nur der höhere Schwierigkeitsgrad dieser Erzählung, sondern auch die besondere Meisterschaft der Autorin. Denn als Fazit kann man nur sagen: Gekonnt geschildert.