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16. April 2024

Wenn der Teufel in eine Frau schlüpft, wird sie Hexe und hat ein Hexenmal. So heißt die Einschlupfstelle, und die ist für immer schmerzunempfindlich. Manchmal ist sie als Hautfleck sichtbar. Mit der Nadelprobe kann man den Hexenstatus der Frau recht einfach nachweisen: Man braucht sie einfach überall zu stechen, bis sie irgendwann nicht schreit oder blutet. Dann hat man das Hexenmal gefunden, und der Fall ist klar. Es sind noch Betrugsnadeln erhalten, bei denen die Spitze auf Druck in den Schaft zurückweicht, sodass bestimmt kein Schmerz entsteht. Ja, so war das im frommen Mittelalter. Gestern war ich beim Dermatologen. Er hat mich nach Hautflecken abgesucht. Nicht mit einer Nadel, sondern mit einem Dermatoskop, das ist so was wie eine handliche kleine Lichtlupe. Es hat nicht ein einziges Mal wehgetan, ich habe nie geschrien und nie geblutet, ich muss wohl ganz klar eine Hexe sein.

14. April 2024

Bei uns ist so viel Staub zur Zeit! Das könnte ich mit dem Finger aufs staubige Sofa schreiben. Grauer Baustaub, denn das Badezimmer wird grad umgebaut. Brauner Saharastaub, denn östliches Hoch mit westlichem Tief ist grad optimal für den den betreffenden Wind. Gelber Blütenstaub, denn im nahen Wald sind grad die Fichten wie wild am Blühen. Ich kann ihm nicht entrinnen, dem Staub, und bin laut Bibel auch selber welcher. »Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück«, soll der Herr gesagt haben, bevor er Adam und Eva aus dem Garten Eden vertrieb. Staub gab es also schon im Paradies, wo Eva einen Apfel abstaubte.

3. April 2024

Gescheit sowie dumm lässt sich paaren mit bös sowie lieb. Die gescheiten Bösen kenne ich nur aus Filmen, die gescheiten Lieben aber sind in meinem Leben nah und zahlreich. Die dummen Bösen tun mir ein bisschen leid, etwa der Teufel, der immer den Kürzeren zieht. Und die dummen Lieben machen mir etwas Angst, weil sie so einiges verhindern, verhunzen, verschlafen. Ziemlich allerdümmst, jedoch harmlos, ist die liebe Frau im englischen Knutsford, die kürzlich ein vom Gehweg gerettetes Igelbaby ins Wildlife Hospital brachte. Sie hatte es in eine Schachtel mit Zeitungspapier gepackt und ein Futterschälchen dazugestellt. Das Igelchen rührte sich nicht, und es war gar keins. Es war der Bommel einer Mütze, auch Pompon genannt.

2. April 2024

Ob er mir die Tasche oben auf die Gepäckablage legen solle, fragte der junge Mann im Zug Lugano-Zürich. Das war freundlich, aber ich verneinte dankend und drehte mich unfreundlich Richtung Fenster. Denn der Mann war laut und angetrunken, sein Freund war still und zugedröhnt. Tickets konnten beide nicht vorweisen, das vorgezeigt Papierbündel galt nichts, der Laute entließ einen Schwall Arabisch mit ein paar Krümeln Italienisch wie »Asilo« und »Guerra«, der Stille legte die Hände aufs Gesicht, und zum Schluss warf der Laute in seiner Wut dem Kondukteur eine Colaflasche hinterher. Dann hob er seinen Metallkoffer und tat, als wolle er ihn durch die Scheibe schmettern. Hastig verzog ich mich in den nächsten Waggon. Zwei Verzweifelte waren das. Zwei Hilflose auf der Suche nach besserem Leben. Zwei Unangenehme ohne Chance aufs Angenehmsein. Ich sah sie beim Aussteigen wieder, da standen Polizisten bereit, drehten ihnen die Arme auf den Rücken und legten ihnen Handschellen an. Ende des Films.

22. März 2024

»Kann ich ihn sehen?« Dagegen spricht nichts, und so liegt er vor mir, blutig und gelblich. Sehr unansehnlich. Bis zuletzt hat er sich durchgebissen, und immer war er dabei, an unserer Hochzeit, als die Kinder zur Welt kamen, als mein erstes Buch erschien. Immer hat er mich begleitet, zu den entlegensten Plätzen, in Eritrea auf die Dahlakinseln, in Island auf den Snäfelsnessjökull. Stets war er zuhinterst. Oben links. Mein Backenzahn. Ich bin fast ein bisschen traurig, als er da vor mir liegt. Für immer gezogen.

12. März 2024

Ich kenne Max nun seit fünf Jahren, und ich merke, dass er mich mag, aber aus irgendeinem Grund legt er seine Zurückhaltung nie ganz ab. Wenn wir uns unterhalten, steht er manchmal einfach auf und verzieht sich, wortlos. Ich weiß nie, was in seinem Kopf vorgeht, in seinem übrigens überaus schönen Kopf. Was sollʼs, in jeder Beziehung gibt es nun mal Geheimnisse. Ich wundere mich einfach, dass es mit Moritz so anders ist, wo er doch den gleichen Jahrgang und den gleichen Background hat. Er hat keine Hemmungen, mir seine Zuneigung zu zeigen, und er mag es, wenn ich mit ihm zärtlich bin. Wär noch zu sagen: Max und Moritz sind Katzen, zwei Brüder, und sie haben demnächst Geburtstag.

7. März 2024

Bei einem weiblichen Hurrikan und einem männlichen Hurrikan von gleicher Stärke ist der weibliche der gefährlichere, er fordert mehr Todesopfer. An der Universität von Illinois hat man eine entsprechende Statistik erstellt. Man erklärt sich das damit, dass die Menschen von einem Männerhurrikan mehr Aggression und Gewalt befürchten und darum größere Vorsichtsmaßnahmen treffen. Von einem Hurrikan mit weiblichem Namen wird etwas leicht Sanfteres erwartet. Dann folgt das böse Überraschen. Vielleicht sollte man die Hurrikans völlig anders taufen. Etwa mit Familien-Doppelnamen. Miller-Davis. Meier-Klöti.

3. März 2024

Kurz vor Olten stoppt der Zug – und fährt nicht wieder an. »Personenunfall« lautet die Durchsage. Der Begriff »Personenunfall« ist bei den Schweizerischen Bundesbahnen üblich für Tod auf dem Geleise. Man bittet die Reisenden um Geduld. Die schauen sich fragend bis betreten an. Im Abteil bleibt es still. Manche werden nun irgendetwas verpassen, einen Anschluss, einen Termin, einen Empfang. Aber wenigstens nicht das Leben. Ich habe mir seinerzeit den 3. März ausgesucht, um zur Welt zu kommen. Und gerade eben hat jemand den 3. März gewählt, um von der Welt zu verschwinden.

26. Februar 2024

Pro Sekunde legt ein Gepard 30 Meter zurück, klopft ein Specht 20 Mal auf Holz, gehen bei Google 50‘000 Suchanfragen ein, kann das Licht die Erde 7 Mal umrunden, werden 3 Barbie-Puppen verkauft. Laut der Herstellerfirma Mattel sind bislang über eine Milliarde Barbies verkauft worden. Barbies sind aus Plastik, und Plastik verrottet nicht. Was sind denn das für seltsame Instrumente gewesen, werden sich in 500 Jahren die Aliens fragen, die bei einem Stopover auf dem menschenleeren Erdball über Barbiebeine stolpern.

20. Februar 2024

Ich war oder galt als ein glückliches Kind. Worüber habe ich damals eigentlich gelacht? Dass ich geweint habe und warum, das weiß ich noch genau. Aber gelacht, so richtig laut von tief unten und dann gacker, gacker, johl? Ich kann mich nicht erinnern. Belustigt, ja, das war ich wohl, etwa wenn Heidi in Frankfurt das Fräulein Rottenmeier nicht verstand, oder wenn am Filmnachmittag im Kirchgemeindehaus Charlie Chaplin auf mich zu wackelte. Wenn meine Schwester ihren Geigenlehrer nachmachte oder die Katze dem Milchmann von hinten auf die Schulter sprang. Ich habe gekichert, gelächelt, gestaunt. Aber gelacht? Ganz sicher auch, behaupte ich einfach mal.

13. Februar 2024

Die EU will dem Roden großer Waldflächen etwas entgegensetzen. So schreibt der Tages-Anzeiger heute: »Künftig will sie nur noch Produkte einführen, für deren Rohstoffe nach 2020 keine Wälder abgeholzt wurden. Betroffen sind sieben Rohstoffe: Soja, Kautschuk, Kaffee, Kakao, Rind, Palmöl und Holz.« Betroffen bin auch ich – betroffen darüber, dass man das Rind als Rohstoff bezeichnet. Der sogenannte Rohstoff kann nämlich kommunizieren, trauern, Freundschaften schließen, sich über Musik freuen, und er erkennt in der Herde über hundert seiner Mitrohstoffe.

2. Februar 2024

So vergehen die Jahre und Jahre und Jahre. Meine Haut wird runzliger und mein Schreiben wird straffer. Meine Arztrechnung saftiger, mein Humor dafür trockener. Meine Dankbarkeit wird grösser und mein Ehrgeiz wird kleiner. Meine Lästerlust schärfer und mein Urteilen milder. Das Haargrau wird heller, die Zukunft wird dunkler. Der Unmut wird lauter, die Zuversicht leiser. Der Lebensfaden wird dünner und die Hängebacke dicker. Die Ängste werden röter und die Daumen werden blauer. Vom Drücken.

25. Januar 2024

Tage, Tage, wie sie flitzen,
bleiben nie ein Weilchen sitzen,
jagen und erlegen Zeit
in der Sucht nach Ewigkeit.

So viel träger sind die Nächte,
sind wie schwere, greise Hechte,
die in traumgeschwärzten Tümpeln
auf und ab durchs Trübe dümpeln.

Na ja, auf »Nächte« hätte auch »Spechte« und »Schächte« gereimt.

18. Januar 2024

Abend im Bahnhof Kreuzlingen. Es zieht, es regnet Schnee, zum Warten sucht man sich eine überdachte Ecke. Zwei Polizisten zupfen da an einem langen, schmutzigen Bündel, das Bündel ist ein Mann im Schlaf. He, Sie! Der Mann bewegt sich, murmelt, murrt – lasst mich. Schon wieder ein Platz, an dem er in seinem Rausch nicht bleiben darf. Ich erinnere mich an Nächte vor vielen vielen Jahren, da rief meine Mutter manchmal vom Bett aus: O, wie gut, dass ich jetzt nicht auf einem kalten, russischen Bahnhof bin! Dann nestelte sie sich zwischen die Decken und ließ sich dankbar in den Schlaf sinken.

17. Januar 2024

Heute kommt mit der Post ein Prospekt des Landesmuseums. »Mit Gäst:innen durch die Ausstellungen« heißt es da. Die Ausstellungen klingen vielsprechend, aber die Gäst:innen machen mich etwas ratlos. Ich war noch nie eine Gästin. Muss ich mich dazu irgendwie passend anziehen? Und darf mein Mann auch mitkommen, wo es doch nach Gäst gar kein e hat? Leicht verwirrt stehe ich am Fenster und blicke hinaus in den nebligen Garten, wo die Äst:innen noch kahl und die Vogelkäst:innen noch leer und Beete bloß nasse Moräst:innen sind.

15. Januar 2024

»Ich weiss, dass ich nichts weiss« – diese Aussage wird Sokrates zugeschrieben. Und das ist die Formulierung von Albert Einstein: »Je mehr ich weiss, desto mehr erkenne ich, dass ich nichts weiss.« Wenn ich meine Texte durchs Korrekturprogramm laufen lasse, staune ich, wie oft ich »weiss« beziehungsweise »weiss nicht« verwende, wie oft ich nämlich ss in ß verwandeln muss, damit die Lesenden in Deutschland nicht zusammenzucken. Ihnen, lieber Herr Sokrates, lieber Herr Einstein, wird das wohl egal sein. Und dir, liebes Rumpelstilzchen, wohl auch.

14. Januar 2024

»Klang der Bäume«, »Zugang von Transpersonen zu Frauenräumen«, »Vegan Literary Studies«, »Marginalisierte Sexualität in Kirgistan«, »Whiteness bei Friedrich Dürrenmatt«, »Stempelsiegel in vorhellenistischer Zeit« – das sind einige der Studienprojekte, die vom Schweizerische Nationalfond unterstützt werden, mit 165ʼ000 Franken (Kirgistan) bis zu 854ʼ000 Franken (Frauenräume). Das lese ich in der heutigen SonntagsZeitung, und mein Kopf beginnt sich ungefragt zu schütteln. Erst hin und her, während ich denke: Also bitte, muss das sein? Dann auf und ab, weil ich denke: Ja, ja, ja, das muss sein. Jede Einzelheit ist irgendwo, irgendwann, irgendwozu am großen Ganzen beteiligt und somit wesentlich. Und es ist wunderbar, dass unter den mehreren Zehntausend unterstützten Projekten auch Phänomene untersucht werden, die weder Profit noch ewige Jugend versprechen.