»Tage, Tage«

3. September 12

Try to remember a day in September – heißt er so, der schöne Song? Den heutigen Tag werd ich eher nicht zum Erinnern auswählen: der Elektriker ist wegen des kaputten Kühlschranks gekommen, der Wein wurde geliefert, ein Termin mit dem Kaminfeger wurde abgemacht, ein Termin für die Graue-Star- Operation am anderen Auge wurde abgemacht, der Grün-Container wurde geleert, die Post wurde gebracht, nämlich ein Migros-Magazin, sonst nichts, der Himmel wurde grau, und dann ward Mittag. Hat nicht Christa Wolf über Jahrzehnte jedes Jahr den gleichen Tag im September beschrieben? Hab ich mal gelesen, weiß nicht mehr viel davon. Erschien mir ziemlich pflichtübungsmäßig. Ich will das Buch wieder mal aus dem Keller holen, wo meine ganze literarische Sammlung lagert und einen leichten Modergeruch ansetzt.

30. August 12

Regen, Regen, laut und heftig, wäscht alles weg, schwemmt alles an, Probleme, Ängste, Hoffnungen, Illusionen, alles rauscht davon und kommt um die Hausecke zurück, und es ist, wie es war. Nur mehr Schnecken gibt‘s, sie sind aus den Verstecken gekommen, um zu feiern, und meine Haare kräuseln und gräuseln sich vor so viel Feuchtigkeit. Schon denkt man mit Wehmut an den Sommer, den heißen wilden Kerl, lange wird’s dauern, bis er wieder daherfaucht, dann sind wir ein Jahr älter und grauer und müder. Man müsste das kalte Halbjahr nutzen fürs kühle Denken, fürs Aufräumen im Kopf, fürs Platzmachen, aber Platz wofür? Den Herbst mag ich nicht sonderlich, zum Teufel mit den Farben, mit Bunt-sind-schon-die-Wälder. Heißt ja englisch auch Fall, der Herbst, das fallende Jahr.

21. August 12

Habe in der Hitze die Beerensträucher geschnitten, das Kraut dazwischen gesichelt, mich stechen lassen von den Mücken und brennen von den Nesseln, bei der Arbeit einen hochroten Kopf gekriegt, dabei habe ich mich überhaupt nicht aufgeregt, im Gegenteil, ich blieb ganz gelassen. Die Sträucher werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich sie falsch schneide, sie werden wieder wachsen und grünen und blühen und fruchten, und wenn sie nicht viel fruchten, macht mir das nichts aus, weil ich dann keine Konfitüren einkochen muss, Konfitüren, die eh niemand isst, nur O., der sich beim Konfitürenessen beklagt, dass er der einzige Konfitürenesser ist. Die Spinne sitzt nicht mehr vor meinem Fenster, dafür ist zwei Mal ein Milan zur Wiese abgetaucht, so nah, dass ich die ausgestreckten Füße gesehen habe. Huch, die hat meine nackten Füße gesehen, hat er sich gedacht und ist beschämt ins Versteckte geflogen. So macht man schlechte Geschichten, es ist leider sehr einfach. 

18. August 12

Heute früh im Wald ein Reh gesehen, ich war ihm egal. Der Gojibeeren-Strauch, als Pflänzchen im Mai von R. geschenkt bekommen, hat schon Beeren angesetzt, die werden in zwei Monaten reif sein, wer weiß, was dann noch alles ist. Israel droht Iran mit Angriff, und Syrien macht sich selbst kaputt. Jetzt denke ich wieder gerne an die vier van L.‘s, weil sie nämlich zurück sind aus den USA und meine Permaangst somit nur noch auf kleiner Flamme kocht. Der jüngste Enkel hat die erste Schulwoche hinter sich, seit Monaten hat er sich auf Hausaufgaben gefreut, jetzt hat er sie bekommen und wird sie über Jahre haben. Im Kiesplatz schießt wieder das Gras und das Kraut, dass es nur so knallt, aber einzig ich kann’s hören. Bin so spießig geblieben, dass ich einen Kiesplatz jäte. Andere Spießigkeiten hab ich auch noch, aber was soll ich mir den Kopf deswegen zerbrechen, er hat schon Sprünge genug.