Heute bin ich mit O. auf einen Hochsitz am Waldrand geklettert. Es ist ein abgeschlossener Raum mit Tür und drei Fensterläden zum Aufklappen und einer kleinen Sitzbank. Wunderschön muss das bei Morgengrauen hier oben sein: der Blick über die große Lichtung, die Hecken und Baumgruppen und die ersten Vogelflüge im Halbdunkeln, das Herzklopfen, wenn ein zwei drei Rehe auftauchen, ein Fuchs oder Feldhase. Und gleich wird sich das Morgengold über die erwachende Welt ergiessen. Ich stelle mir den Menschen vor, der dann mit einem Gewehr hier oben sitzt. Weiblich ist er eher nicht. Jünger als vierzig eher nicht. Familienvater eher nicht. Pianist eher nicht. Vegetarier eher nicht. Anarchist eher nicht. Aber wie das oft ist mit den Bildnissen, die wir uns machen, liege ich vielleicht ganz falsch, und die auf dem Hochsitz heißt zum Beispiel Renate, ist dreißig und ausgebildete Hebamme, sammelt Engelchen und macht selber Eierlikör.